Sollten wir Polizeihunde verbieten? Eine kritische Betrachtung von Tierschutz, Ethik und Realität

Sollten wir Polizeihunde verbieten? Eine kritische Betrachtung von Tierschutz, Ethik und Realität

Lesedauer: ca. 6 Minuten

Polizeihunde stehen immer wieder im Fokus der Debatte, wenn es um Tierschutz, Ethik und Sicherheit in unserer Gesellschaft geht. Der Vorfall beim AfD-Parteitag in Riesa hat die Diskussion auf ein neues Level gehoben: Dort wurde ein Polizeihund von seinem eigenen Hundeführer grob misshandelt, weil er sich geweigert hatte, einen Demonstranten zu beißen. Parallel dazu biss in derselben Situation ein anderer Polizeihund trotz Leinenzug einen Kollegen. Sind diese Szenen Einzelfälle oder systemisches Problem? Und was bedeutet das für die Zukunft von Diensthunden in Deutschland?

Was genau ist in Riesa passiert?

Bei den Protesten gegen den AfD-Parteitag kam es zu massiven Auseinandersetzungen zwischen Demonstrierenden und Polizei. Besonders schockierend: Ein Hundeführer ging rabiat mit seinem Diensthund um, nachdem dieser den Befehl ignorierte, einen Menschen zu beißen. Hundetrainer Martin Rütter bezeichnet das Geschehen ganz klar als Tierschutzproblem – und er liegt damit richtig.

Im Video aus Riesa sieht man zwei Extreme:

  • Hund 1: Er ist zu friedlich, ignoriert Befehle zum Zubeißen und wird dafür vom Hundeführer brutal an eine Leitplanke gedrückt, im sogenannten „Grinsegriff“, der eigentlich verhindern soll, dass der Hund schnappt.
  • Hund 2: Er ist offensichtlich überfordert und beißt ohne gezieltes Kommando in den Arm eines Polizisten. Offensichtlich handelt er impulsiv und kann die Stresssituation nicht mehr regulieren.

Diese Situationen zeigen eine alarmierende Bandbreite: Vom Hund, der für sein „richtigeres“ Verhalten bestraft wird, bis zum Hund, der völlig die Kontrolle verliert. Hinter beiden Fällen steht letztlich Unverständnis im Umgang und in der Auswahl dieser Hunde. Der Hinweis kommt, dass die beteiligten Hundeführer aus Baden-Württemberg stammen, wie man auch an den Uniform-Abzeichen sehen kann – ein interessanter Fakt, zu dem noch mehr Hintergrund später folgt.

Was macht einen Diensthund überhaupt aus?

Gebrauchshunde im Überblick

Viele Hundearten übernehmen Aufgaben für den Menschen – man spricht dann von Gebrauchshunden. Zu ihnen zählen:

  • Assistenzhunde für Menschen mit Behinderung
  • Sprengstoffspürhunde
  • Hütehunde
  • Jagdhunde
  • Hunde, die als polizeiliche oder militärische Waffe eingesetzt werden

Diensthunde arbeiten innerhalb staatlicher Institutionen. Sie finden sich als Drogenspürhunde am Flughafen oder wie in Riesa als Schutzhunde im Einsatz gegen Störer. Wichtig: Im Volksmund spricht man oft auch von „Schutzhunden“, wenn Privatleute Hunde für spezielle Einsätze trainieren – ein Bereich, auf den später noch ausführlicher eingegangen wird.

Diensthunde als „Waffe“ und der rechtliche Rahmen

Der Staat legitimiert den Einsatz von Diensthunden mit dem öffentlichen Interesse, das im Gesetz verankert ist. Die Polizei darf Hunde mit ähnlicher Begründung einsetzen wie Schusswaffen, nämlich zur Gefahrenabwehr. Ein sogenannter „scharfer Hund“ ist ein Diensthund, der keinen Maulkorb trägt und das Kommando „Fass“ bekommt – ab diesem Moment wird sein Einsatz dem Gebrauch einer Dienstwaffe gleichgesetzt.

Wie sieht das im Gesetz aus? In Österreich wird dieser Punkt sehr klar definiert, und in Deutschland gilt eine vergleichbare Regel. Ein Hund, der sich verweigert, gilt daher als „ungeeignet“. Martin Rütters Urteil über den Hund in Riesa: „Für den Polizeidienst völlig ungeeignet“ – und genau das lässt sich auf viele weitere Fälle übertragen.

Mehr zum rechtlichen Rahmen und zur Tierschutzverordnung für Diensthunde gibt es in diesem Artikel zu gesetzlichen Vorgaben und Ausnahmen für Polizeihunde.

Wie werden Diensthunde ausgewählt und ausgebildet?

Anforderungen und (Fehl-)Konzepte in der Auswahl

Die Idealvorstellung: Ein Diensthund soll selbstbewusst, spielfreudig und durch nichts zu erschüttern sein. In der Praxis wird damit eine spezielle Form von Aggression und ein ausgeprägter Beutetrieb gesucht – Eigenschaften, die das gezielte Zubeißen auf Befehl ermöglichen sollen. Das Auswahlverfahren ist aber alles andere als einheitlich: Ausbildungsratgeber fordern oft, Hunde mit „reizbarer, feindseliger Grundstimmung“ zu bevorzugen. Das ist nicht nur tierschutzrechtlich fragwürdig – es ist auch wissenschaftlich wenig sinnvoll.

Schon 1991 warnte die Verhaltensforscherin Feddersen-Petersen davor, Aggression pauschal negativ zu bewerten. Aggressives Verhalten ist natürlich – aber als genetisch fixiertes Merkmal ist es kaum zuverlässig vererbbar. Denn bloß weil zwei Hunde aggressiv sind, kommt im Wurf nicht zwangsläufig ein ganzer „Aggressivenhaufen“ heraus. Vielmehr bringt die Diensthundezucht oft Hunde mit sehr kurzer Zündschnur hervor – sie reagieren schnell, aber in welche Richtung, das entscheidet später das Training.

Das bedeutet: Aggression ist nur eine Grundtendenz, alles Weitere prägt der Mensch. Darum sind sogenannte „Kampfhundelisten“ in der öffentlichen Debatte wenig hilfreich. Ausbildungsratgeber bestätigen, dass Verhalten zu großen Teilen antrainiert wird und daher als Indikator für „gute Gene“ unbrauchbar ist.

Trainingsmethoden: Von artgerecht bis tierschutzwidrig

Das Verhalten von Diensthunden wird maßgeblich durch das Training und den Umgang mit dem Hundeführer geprägt. Methoden reichen von positiver Verstärkung bis zu Strafmaßnahmen – schockierend oft kommen auch in Deutschland verbotene Mittel wie Teletakt-Geräte (Elektroschockhalsbänder) zum Einsatz, sogar mit lebenslanger Garantie über das Internet erhältlich. In manchen Fällen wird Elektroschock als „Abbruchsignal“ verwendet, damit ein zu aggressiver Hund von seinem Opfer ablässt.

Werden Hunde ausschließlich auf das Zubeißen konditioniert, passiert in Stresssituationen schnell das Unvermeidliche: Kontrollverlust auf beiden Seiten. Der Hund spult das Gelernte ab – und beißt, wie vorgesehen, in den dicken Schutzarm oder manchmal auch daneben. Das ist besonders riskant, weil ein Lebewesen keinen Sicherungsmechanismus wie eine Waffe besitzt und auf individuelle Reize reagiert.

Ein ausführlicher Hintergrund zu modernen Ansätzen findet sich im Artikel zur modernen Ausbildung von Diensthunden – Vertrauen und positive Verstärkung im Fokus.

Herkunft und Belastung: Nicht jede Spürnase im Dienst ist dafür geboren

Die meisten Diensthunde sind nicht aus spezieller Zucht oder werden wie Blindenführhunde individuell ausgesucht – oft werden junge Schäferhunde einfach in Tierheimen aufgekauft, manchmal sogar aus Tierheimen, die sich auf diese Transaktionen spezialisiert haben. Diese Hunde stehen dann vor massiver psychischer und körperlicher Belastung: Viele werden früh aufgrund orthopädischer Probleme ausgemustert, das durchschnittliche Dienstende liegt bei etwa 8 bis 10 Jahren.

Detaillierte wissenschaftliche Einblicke bietet ein Forschungsbericht zur Belastung von angekauften Diensthunden durch Haltung und Grundausbildung.

Der Realitätstest: Diensthunde beim Einsatz

Was wird eigentlich von einem Polizeihund verlangt?

Im Einsatz erwartet man vom Diensthund, dass er ruhig bleibt, bis das genaue Kommando zum gezielten Angriff kommt. Bei Demonstrationen nutzt die Polizei Hunde als Abschreckung, im Militär sind sie aufgrund ihrer Schnelligkeit und kleinen Größe schwer zu treffen. In Extremfällen sollen sie sogar bewaffnete Personen außer Gefecht setzen – man kennt das Bild vielleicht aus Filmen wie „John Wick“.

Doch sobald Hund oder Hundeführer die Kontrolle verlieren, wird die Situation brenzlig: In Riesa zum Beispiel wurde ein friedlicher Hund brutal zurechtgewiesen, während ein anderer unkontrolliert in den Arm eines Beamten biss. Ein Diensthund hat keinen Sicherungshebel wie eine Pistole. Wenn ein Tier in Stress gerät oder überfordert ist, kann es unvorhergesehen handeln. Das Risiko, dass eine „Waffe“ mit eigenem Willen reagiert, bleibt.

Fehlende Transparenz und offene Fragen

Will man herausfinden, wie genau Hundeführer ausgebildet werden oder ob es unabhängige Tierschutz-Kontrollen gibt, stößt man auf eine Mauer des Schweigens. Viele Angaben fallen unter Verschlusssache der jeweiligen Landesbehörden. Das macht es schwer, objektiv zu bewerten, wie professionell die Ausbildung wirklich abläuft und wie sehr auf das Wohl der Tiere geachtet wird. Es bleiben viele Fragen:

  • Wer kontrolliert den Tierschutz bei der Ausbildung?
  • Wie werden problematische Hunde aussortiert?
  • Wie oft kommt es zu Zwischenfällen wie in Riesa?

Wissenschaftliche Studien zu Stress und Tierschutz bei Diensthunden

Cortisol, Stress und die Folgen

Zahlreiche Studien zeigen, dass Diensthunde im Einsatz starken Stress ausgesetzt sind. Untersucht wurden unter anderem die Cortisolwerte militärischer Diensthunde in belastenden Situationen. Das Ergebnis: Deutliche Stressanzeichen im Blut und in der Körpersprache. Auch Zwingerhaltung und fehlende Bezugspersonen erhöhen die Belastung und können das Arbeitsverhalten negativ beeinflussen.

Die Empfehlung aus wissenschaftlicher Sicht ist dabei eindeutig: Positives Training und artgerechte Haltung führen zu weniger Stress und besseren Ergebnissen.

Mehr Hintergründe liefert der Artikel Bewiesen: kein Stress durch Schutzdienst?.

Eine Münchener Doktorarbeit zeigt zudem, dass nicht die Ausbildung, sondern vor allem der Zwingeraufenthalt in fremder Umgebung für die größte Belastung sorgt. Die täglichen Übungen dienen im Vergleich nur als Ausgleich für angestaute Energie.

Detaillierte Einblicke in diese Forschung liefert die Doktorarbeit über Stressfaktoren bei Diensthunden.

Unfälle und schwere Zwischenfälle

Verlässliche Zahlen zu Beißvorfällen gibt es kaum, da es zu wenig belastbare Untersuchungen gibt. Es ist daher schwierig, das Risiko für Menschen und Kollegen objektiv zu beziffern. Klar ist aber: Jeder Vorfall muss ernst genommen und reflektiert werden – pauschale Urteile helfen hier nicht weiter.

Die ethische Seite: Ist der Einsatz von scharfen Diensthunden noch zeitgemäß?

Der Spagat zwischen Gesellschaft und Tierschutz

Hier treffen zwei mächtige Werte aufeinander: Das gesellschaftliche Interesse am Gewaltmonopol des Staates einerseits, der Tierschutz andererseits. Es geht nicht nur darum, ob „knallharte“ Hunde ihre Aufgabe erfüllen – sondern ob es ethisch vertretbar ist, Tiere ohne eigene Wahl in solch risikoreiche Einsätze zu schicken.

Untersuchungen zeigen, dass das Problem nicht beim einzelnen Hund, sondern beim gesamten Konzept liegt: Psychische und physische Belastungen, fragwürdige Zuchtziele und die Reduktion der Hunde auf das Werkzeug „Waffe“. Anders als bei Drogenspür- oder Assistenzhunden, wo Kooperation und Dankbarkeit im Vordergrund stehen, werden scharfe Diensthunde oft nur als Mittel zum Zweck betrachtet.

Persönliche Überzeugung: Hunde sind keine Waffen

Die Realität im Polizeidienst hat mit der romantischen Vorstellung vom „Partner mit der kalten Schnauze“ wenig zu tun. Vielmehr zeigen Vorfälle wie in Riesa, dass Misshandlung, Überforderung und Kontrollverlust leider nicht selten sind. Besonders riskant wird es, wenn private Halter sich für den Schutzhundesport begeistern und aggressive Hunde ohne intensive Kontrolle halten – die Zahl der Zwischenfälle dürfte dort deutlich höher sein.

Reformen und modernere Trainingsmethoden sowie klare tierschutzrechtliche Vorgaben sind dringend nötig. Nur so kann ein Gleichgewicht zwischen Sicherheit, Tierschutz und dem Wohl unserer tierischen Helfer geschaffen werden.

Über tierschutzwidrige Trainingsmethoden und aktuelle Diskussionen berichtet die TFA-Wissen Plattform zu Training und Tierschutz bei Polizeihunden sowie eine kritische Stellungnahme zu tierschutzwidrigem Training im Polizeidienst.

Fazit

Polizeihunde leisten einen wertvollen Beitrag für die Gesellschaft, stehen aber unter massivem Druck – sowohl physisch als auch psychisch. Der Fall Riesa zeigt die Schwächen im System deutlich auf: Misshandlung eines friedlichen Hundes auf der einen, unkontrollierbares Verhalten aus Überforderung auf der anderen Seite. Wissenschaftliche Studien und persönliche Erfahrungen bestätigen, dass Verbesserungen in der Auswahl, Ausbildung und Haltung ebenso nötig sind wie eine kritische ethische Reflexion.

Am Ende bleibt die Frage, ob wir wirklich wollen, dass Hunde weiterhin ungefragt als Waffen dienen – und wie wir als Gesellschaft die Balance zwischen Sicherheit und Tierschutz finden. Die Debatte um das Verbot von Polizeihunden ist noch lange nicht abgeschlossen, verdient aber dringend mehr Aufmerksamkeit, Transparenz und Reformbereitschaft.